Aktuelle Tagungen
Personen machen Geschichte. Macht Geschichte Personen?
Perspektiven der Personengeschichte im 21. Jahrhundert
Daneben lässt sich eine ganze Reihe aktueller Forschungstendenzen ausmachen, die in je eigener Weise nach der Rolle der Person in der geschichtlich-gesellschaftlichen Welt fragen, sei es durch die Konzentration auf Handlungsformen, Mentalitäten und Emotionen, sei es durch die neuerliche Theoretisierung von Konzepten wie Individualität oder Intentionalität.
Unbeschadet aller Bestrebungen zur Entpersonalisierung der Geschichte und antipersonaler, auf überindividuelle Entwicklungen und Formationen fokussierter historischer Konzepte lassen mithin auch Geschichtswissenschaft und -theorie des frühen 21. Jahrhunderts eine starke Hinneigung zu Personen und Personengruppen, ihrem Denken und Wirken sowie zur Frage nach Bedeutung und Voraussetzungen von Subjektivität und ihrer Entfaltung erkennen. Nur noch selten werden dabei freilich Struktur und Persönlichkeit direkt gegeneinander ausgespielt. Vielmehr begreift man sie in der Regel als sich gegenseitig bedingende Größen und ist bemüht, Sein und Tun von Personen konsequent in ihrem jeweils gegebenen kulturellen, sozialen und geistigen Umfeld zu verorten und zu analysieren. Aus dem Verständnis historischer Prozesse können Personen aber, so scheint es, schlechthin nicht ausgeklammert werden.
Die vom Institut für Personengeschichte (IPG) und der Ranke-Gesellschaft vom 8. bis 10. Oktober 2020 im UNESCO Welterbe Kloster Lorsch veranstaltete Tagung zielt in Anbetracht dieses Befundes darauf, der Personengeschichte im 21. Jahrhundert einen neuen Rahmen zu geben und ihren gegenwärtigen Standort innerhalb der Geschichtswissenschaft zu bestimmen. Sie dient zugleich der Vorbereitung und Diskussion eines Handbuchs ‚Personengeschichte‘, welches das IPG in naher Zukunft herausgeben möchte. ‚Personengeschichte‘ soll dabei verstanden werden als die Summe der geschichtswissenschaftlichen Ansätze, die Personen zu ihrem Betrachtungsgegenstand machen, nach der Bedeutung von Personen für historische Prozesse und Konstellationen fragen und in jeglicher Form Personen als Zugang zu ihrem Stoff heranziehen.
Gewünscht sind Beiträge in deutscher Sprache aus allen betroffenen Teildisziplinen der Geschichtswissenschaft und ihren Nachbarwissenschaften, von der alten Geschichte bis zur Zeitgeschichte, ohne geographische Einschränkungen, die sich einem oder mehreren der folgenden Bereiche zuordnen lassen:
- Theorien
Analysen, Historisierungen und Aktualisierungen von Theorien, Paradigmen und Termini, die für die kritische Einordnung von Personengeschichte ins Gesamtfeld der historischen Forschung notwendig bzw. nützlich sind (z. B. Person/Persönlichkeit, Individuum/Individualität, Intentionalität, Struktur, Actor-Network-Theory etc.). Die Beiträge sollen ihre Gegenstände möglichst nicht allgemein, sondern mit Schwerpunkt auf den Herausforderungen, Möglichkeiten und Grenzen ihres Einsatzes in der historischen Forschung und Darstellung behandeln. - Methoden
Darstellungen, Historisierungen und Aktualisierungen von Arbeitsweisen der Personengeschichte bzw. geschichtswissenschaftlicher Methoden, die in jeglicher Form das Sein, Denken und Tun von Personen herausstellen (z. B. [Kollektiv-]Biographie, historische Netzwerkanalyse, Genealogie, Prosopographie, Onomastik, Oral History, historische Praxeologie etc.). - Themen
Betrachtungen und Historisierungen abgrenzbarer Personengruppen bzw. Kategorien, die es erlauben, Gruppen innerhalb historischer Gesellschaften als solche abzugrenzen (z. B. Adel, Geistlichkeit, Frauen, Orden, Berufsgruppen etc.), sowie Themenkomplexe, deren Bearbeitung personengeschichtlicher Forschung bedarf (z. B. Migration, Wissenschaft, Kunst, Politik, Sport etc.). Neben Ansätzen zur Typologisierung sind einerseits Analysen wünschenswert, die Bedeutung und Bedeutungswandel der in Betracht stehenden Gruppe/des in Betracht stehenden Themas innerhalb historischer Gesellschaften und Kulturen herausstellen. Andererseits sind – insbesondere auch in Hinblick auf das projektierte Handbuch – theoretische Erörterungen zu den Möglichkeiten und Herausforderungen der Erforschung des jeweiligen Feldes willkommen. - Quellen
Übergreifende Analysen von Quellengruppen in Hinblick auf die in ihnen liegenden Möglichkeiten für und durch die personengeschichtliche Forschung. Integrale Ausführungen zu naheliegenden personenzentrierten Textgattungen (z. B. Personenstandsquellen, Tagebücher, [Auto-]Biographien, Briefe, Hagiographien, Leichenpredigten) kommen ebenso in Betracht wie Untersuchungen über die personengeschichtlichen Möglichkeiten anderer Quellensorten (z. B. Porträts, Epitaphien, literarische Texte, digitale Datensätze etc.).
Denkbar sind sowohl traditionelle Einzelvorträge von 30 Minuten Länge als auch andere Beitragsformen wie etwa mehrere zusammengehörige Impulsreferate, Plenumsdiskussionen o.Ä. Die Tagungsbeiträge sollen auch der Vorstrukturierung des geplanten Handbuches dienen.
Kreative Vorschläge in Form kurzer Abstracts (max. 500 Worte) werden bis zum 31.5.2020 erbeten an: institut@personengeschichte.de